05. April 2020 - Orgelmusik aus St. Petri mit geistlichem Impuls

Woche 3

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Geistlicher Impuls zu EG 96 Du schöner Lebensbaum des Paradieses“

Wenn man ein Passionslied für einen Gottesdienst aussuchen möchte, hat man es mit unserem Gesangbuch nicht leicht. Es gibt zahlreiche Lieder mit durchaus bekannten und schönen Melodien, die allerdings Texte haben, die heute keiner mehr so wirklich singen möchte. Denn sie sind durchdrungen von einer bluttriefenden und schmerzsehnsüchtigen Leidensverliebtheit, die uns einfach nicht mehr vertraut ist.

„Du schöner Lebensbaum des Paradieses“ (EG 96) ist ein Passionslied, das erst seit Mitte der 70er Jahre in Deutschland bekannt ist. Der Frankfurter Stadtjugendpfarrer Dieter Trautwein suchte für das ökumenische Liederbuch „Cantate Domino“ ein ungarisches Lied. Sein Kollege Vilmös Gyöngyösi empfahl ihm das Lied von Imre Péczeli Király, das in Ungarn sehr beliebt ist. Beide Pfarrer übertrugen den Text aus dem 17. Jahrhundert ins Deutsche. Entstanden ist ein Lied mit einer rhythmischen, fast drängenden Melodie und starken theologischen Bildern. Vertraut sind uns die Bilder von Jesus als Gotteslamm, als Lebensretter oder Befreier. Ungewöhnlich ist dagegen sicher das Bild vom Lebensbaum aus dem Paradies.

1.  Du schöner Lebensbaum des Paradieses,

gütiger Jesus, Gotteslamm auf Erden.

Du bist der wahre Retter unsres Lebens,

unser Befreier.

Christus als Baum des Lebens – dieses Bild holt uns zurück ganz an den Anfang der biblischen Erzählungen. In Genesis 2 und 3 hören wir von Adam und Eva und dem sog. Sündenfall. Eine alte Legende erzählt die Geschichte noch ein bisschen weiter:

Seth, der Sohn von Adam und Eva, kommt an die Pforte des Paradieses. Er darf nicht hinein, denn seit der Vertreibung seiner Eltern versperrt der Erzengel Michael den Eingang. Aber dreimal darf er in den Paradiesgarten blicken. Zweimal sieht er einen verdorrten Baum, beim dritten Mal einen grünenden Baum, in dessen Wipfel die Jungfrau Maria und das Jesuskind erscheinen. Der Erzengel gibt ihm drei Samenkörner des Lebensbaumes mit, die er seinem Vater nach dessen Tod unter die Zunge und damit ins Grab legen soll. Aus Adams Grab wachsen zunächst drei Bäume: eine Zeder als Symbol der Unvergänglichkeit, eine Zypresse als Symbol der Trauer und eine Palme als Symbol der Auferstehung. Später wachsen diese Bäume zu einem Baum zusammen. Und noch viel später wird aus dem Holz dieses Baumes das Kreuz Jesu gezimmert.

Das Bild des Lebensbaumes als Kreuzesbaum Jesu ging in die christliche Überlieferung ein. Im Herzoglichen Museum in Gotha hängt ein Bild, das Lucas Cranach der Ältere 1529 gemalt hat. In der Mitte steht der Lebensbaum. Auf der einen Seite sind seine Äste verdorrt, im Hintergrund ist die Vertreibung aus dem Paradies zu sehen. Auf der anderen Seite ist der Baum grün, hier sind die Passion und die Auferstehung Jesu abgebildet.

Ich finde dieses Bild vom Lebensbaum ein sehr schönes Bild, weil es eben nicht wie die meisten Passionslieder das Leiden und Sterben verherrlicht, sondern das Entstehen von etwas Neuem dagegenhält, das dem Vergehen trotzt. So kennen wir ja auch Lebensbäume aus unseren Gärten: Selbst, wenn alle anderen Pflanzen im Winter ihre Blätter verlieren, behalten die Lebensbäume ihr Grün und erinnern uns daran, dass das Blühen und Wachsen nicht dauerhaft zum Erliegen gekommen ist, sondern bald schon wieder neues Grün hervorsprießt. Und das ist ja auch unsere österliche Hoffnung: Das Vertrauen darauf, dass eine Auferstehung, ein Ende des alten Lebens und der Beginn von etwas Neuem, auch für uns geschehen wird.

So erlebe ich es tatsächlich ein Stück weit schon jetzt in diesen schweren Tagen der Corona-Krise. Zweifelsohne sind der Kummer und die Sorgen bei vielen groß und die schmerzlichen Einschnitte in unseren Alltag treffen viele hart. Aber dennoch spüre ich im Moment auch ganz viel neues Leben, das mir Hoffnung macht: Ich erlebe eine Sehnsucht nach Miteinander und Gemeinschaft die im „normalen“ Alltag oft von einem Gefühl der Selbstverständlichkeit überdeckt wurde. Ich erlebe eine große Hilfsbereitschaft und auch eine lebendige Offenheit für Neues. Ich hoffe sehr, dass das Grün, das wir da gerade sehen, nach der „Auferstehung“ aus dieser Krise nicht verloren geht. So dass am Ende nicht das Leid und die Klage, sondern die Freude und der Dank das letzte Wort haben werden.

6. Dank sei dem Vater, unsrem Gott im Himmel,
er ist der Retter der verlornen Menschheit,
hat uns erworben Frieden ohne Ende,
ewige Freude.


Pastor Michael Glawion

 

 

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